Etappe 3: Quer durch die Schweiz

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Jörg

In der Mitte Europas und doch außerhalb der EU

schon komisch, mitten im Herz Europas befinde ich mich außerhalb der EU! Aber es fühlt sich erst einmal gar nicht so an. Es gibt keine Passkontrolle und die Sprache bleibt hier, im schweizer Jura, weiterhin Französisch.

Daher ist das auffälligste Kennzeichen, dass ich in einem anderen Land bin, die Kennzeichnung der Wanderwege. Das System ist von der Systematik und der Ausführung einfach super. Dazu gibt es eine kostenlose App mit allen Infos zu dem "Langsamverkehr der Schweiz".

Ich folge erst einmal einem lokalen Wanderweg bis ich auf einen der großen nationalen Wege treffe. Passend zu meinem Vorhaben, die Schweiz zu durchqueren, gibt es mit der Nummer 2 den Trans Swiss Trail, der die Schweiz von der französischen bis zur italienischen Grenze durchquert.

Der Trans Swiss Trail führt vom Jura bis ins Tessin

Gleich 4 (Fremd-) Sprachen in einem Land

Immer wieder überrascht die Tatsache, dass es in der kleinen Schweiz 4 offizielle Amtssprachen gibt. Deutsch, Französisch, Italienisch und dazu, das außerhalb der Schweiz kaum bekannte, Rätoromanisch. Ich für meinen Teil bin aber ganz froh, dass ich hinter Neuchatel den französischen Teil der Schweiz verlasse und fortan zumindest lesen kann. Das heißt aber nicht, dass die mündliche Verständigung nun problemlos klappt. Während ich weitgehend verstanden werde, fällt mir das Verstehen oft sehr schwer. Am schwierigsten ist das im Kanton Wallis, und das, in Anbetracht der Tatsache, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon über 2 Wochen im deutschsprachigen Teil unterwegs bin.

Zum Glück wird meist Hochdeutsch geschrieben

Sanfte Hügel im Berner Oberland

Je länger ich durch die Schweiz wandere, umso mehr gefällt mir das Land. Viele Punkte machen die Schweizer wirklich gut. Besonders dann, wenn wir in Deutschland und Europa uns damit besonders schwertun. Auffällig wird dies bei der Landwirtschaft, dem Verkehr und der Mobilität im Allgemeinen.

Als Wanderer fühlt man sich auf den gut markierten Wegen sehr wohl. Dazu gibt es Grillplätze und vor allem, alle paar Kilometer, eine Bank zum Hinsetzen. Welch ein Genuss! Ich spreche hiermit ein Lob auf alle Wegeplaner aus, welche daran denken, dass Langstreckenwanderer sich auch mal hinsetzen möchten. Und das nicht nur bei einem Restaurant oder Café, sondern auch einfach mal so. Vielleicht weil es schön ist oder man einfach müde ist.

Wanderglück: Eine Bank mit Aussicht!

Bern, die elektrisierende Hauptstadt der Schweiz

Der Trans Swiss Trail führt direkt durch Bern. Im Hostel der Stadt habe ich mich für 2 Übernachtungen eingebucht. Nach den langen einsamen Wanderetappen tut eine Großstadt mal wieder gut. Seit Strasbourg war ich weitgehend auf einsamen Wegen unterwegs und bin kaum anderen Wanderern begegnet.

Für eine Hauptstadt ist Bern erstaunlicherweise sehr ruhig und strahlt eine angenehme und entspannte Atmosphäre aus. Ich dachte, dass mich der Kulturschock trifft, aber im Gegenteil. Die Stadt gefällt mir auf Anhieb. In den Straßen pulsiert ein internationales Studentenleben, Straßenbahnen gleiten durch die alte Stadt und am Abend locken jede Menge Kneipen mit süffigen Craft Beer.

Ich bin zur Zeit der Formula E in Bern. Diese Rennveranstaltung mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen ist in Bern nicht unumstritten, passt aber in das Gesamtbild der Stadt. Elektromobilität ist hier keine Randerscheinung, sondern überall präsent. Busse fahren elektrisch, die Post liefert mit elektrischen Transportfahrrädern die Pakete und Briefe aus und die Bürger der Stadt können auf ein hochwertiges Netz von elektrischen Leihrädern zurückgreifen.

Wagen der Formula E in Bern

Schnee in Sicht

Bei Glaubenbielen verlasse ich den Trans Swiss Trail und laufe mit Blick auf den Lungerer See von nun an direkt nach Süden. Der Trans Swiss Trail führt noch ein wenig nach Osten, am Vierwaldstätter See vorbei, bevor er dann an der Gotthard- Transitstrecke bis nach Chiasso führt. Meine Strecke soll mich über den Grimselpass direkt ins Tal Obergoms führen. Dort liegt der von mir anvisierte Ausgangspunkt zum berühmten Fernwanderweg GTA.

Aber bevor ich von Italien träumen kann, muss ich über den Grimselpass (2165m) kommen. Der Pass ist für mich ein Gradmesser für die aktuellen Schneeverhältnisse in dieser Alpenregion. Obwohl jetzt, Ende Juni, geradezu tropische Temperaturen in den Bergregionen herrschen, liegen viele Wanderwege noch unter hohen Schneedecken begraben.

Wie ein großer weißer Riegel liegt der Pass- Übergang aus der Ferne vor mir. An der Aare entlang, geht es immer weiter nach oben. Die Öffnung der Passstraße vor einigen Tagen gibt mir die Sicherheit, dass ich zu mindestens über den Pass kommen werde. Schneller als erwartet, laufe ich dann auch auf der Asphaltstraße vorbei an meterhohen Schneewänden dem Pass entgegen. Der Wanderweg ist unpassierbar. Das wurde mir beim Aufstieg spätesten klar, als ich an einem reisenden Schmelzwasserfluss ohne Brücke stand. In der Schweiz wird in der Regel die Infrastruktur der Wege (mobile Brücken, Hinweisschilder) im Herbst abgebaut und vor der Eröffnung wiedererrichtet.

Als ich den Grimselpass erreiche, fühle ich mich nach Grönland versetzt. Rundherum Schnee. Der See am Pass ist noch zugefroren. Im Kontrast dazu herrschen Temperaturen von über 20°C. Ausreichend, um auf der Sonnenterrasse eines Restaurants den ersten Alpenpass mit einem völlig überteuerten Bier zu feiern.

Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz laufe ich um den See und finde eine schneefreie ebene Stelle, bei der ich mein Zelt aufschlagen kann. Bei all den Schneemassen um mich herum, kommen mir immer mehr Zweifel, ob die Wege nach Italien frei sein werden.

Bivak am Grimselsee

Alte Walserhäuser im Obergomser Tal

Das Obergomser Tal ist meine letzte Station in der Schweiz. Hier wird noch mal alles Schöne aufgeboten, was die Schweiz zu bieten hat. Meine erste Station ist Oberwald. Der junge Fluss Rhone rauscht hier durch das Tal vorbei an fetten grünen Wiesen, auf denen Kühe und Pferde grasen. Umrahmt wird das Ganze von schneebedeckten 3000ern. Besonders gefallen mir aber die alten Holzhäuser in den Orten. Wettergegerbt und braungebrannt dominieren sie das Ortsbild und erzählen ihre eigenen Geschichten. Erbaut wurden sie von der Volksgruppe der Walser (daher auch der Name des Kantons Wallis). Ich lege einen Pausentag ein und schlendere durch den Ort. Immer wieder entdecke ich neue interessante Details.

Das Gebäude, welches ich am häufigsten aufsuche, beheimatet den kleinen Supermarkt. Das ist in der Schweiz schon eine sehr praktische Sache. Ist der Ort auch noch so klein: Es gibt einen Universalmarkt mit allem was das Wanderherz begehrt (und meistens sogar eine ganze Menge mehr). Hier mache ich am Morgen Frühstück, esse ich mittags ein Eis und kaufe mir am Abend alles für eine zünftige Brotzeit.

Alte Walserhäuser in Oberwald

Öffnung der Wanderwege erst im August

Keine guten Nachrichten erhalte ich in der Touristeninformation des Ortes. Demnach sind die Wanderwege in den Hochlagen nach wie vor gesperrt. Auf Grund der außergewöhnlichen Schneelage geht man nicht von einer Öffnung vor Mitte August aus. Das würde meinen Zeit- und Streckenplan komplett durcheinander wirbeln und noch schlimmer: Die geplante gemeinsame Wanderung mit meiner Frau auf dem nördlichen Teil der GTA wäre so nicht möglich. Betrübt verlasse ich Obergoms und bummle in sommerlicherer Hitze entlang der Rhone nach Ulrichen. Hier beginnt der finale Anstieg zum Griespass. Die Passstraße ist zumindest seit ein paar Tagen offen, der direkte Wanderweg geschlossen. Nach einem Telefonat mit der Hüttenwirtin der Corno Gries- Hütte schöpfe ich aber ein wenig Hoffnung. Auch die Hütte ist seit 2 Tagen offen und erste Wanderer sind die (gesperrte) Strecke bereits gelaufen.

Hochwasserführende Rhone im Tal von Obergoms

Auf zur Corno Gries Hütte

Da ich Elke nicht gleich am ersten Tag über 1500m nach oben schicken möchte, plane ich nach ihrer Ankunft die Passstraße mit dem Bus zu fahren und dann gemeinsam zur Hütte zu laufen. Mir selbst würde ich aber nicht verzeihen, den Aufstieg ausgelassen zu haben. Aus diesem Grund starte ich einen Tag vorher zu Fuß Richtung Hütte und will dann den Bus zurücknehmen. Zugleich kann ich mir so schon einmal einen Überblick über die Schneeverhältnisse verschaffen.

Der Weg von Ulrichen zum Griessee wurde auf Grund von Felszstürzen im letzten Herbst neu trassiert, aber viel sehe ich nicht vom Weg, da ab 1800m noch alles unter Schnee liegt. Ich steige höher und höher und erreiche die Windräder am Griessee. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Corno Gries. Doch das Gelände wird immer schwieriger. Etwa einem Kilometer vor der Hütte erreiche ich einen Steilhang der nach meiner Einschätzung ohne Steigeisen und dazu noch allein nicht passierbar ist. Es hilft nichts. Just in dem Moment zieht ein Gewitter auf. Ich muss zurück und das schnell.

Windräder am Griessee

Am nächsten Tag sitzen wir im Bus und lauschen den Ausführungen des Fahrers. Immer noch nagt die Ungewissheit, ob der Griespass nach Italien passierbar ist. Wir dürfen kein Risiko eingehen. Die langen steilen Schneefelder gestern waren für mich eine Warnung.

Der Weg von der Straße zur Hütte ist nicht weit und tangiert nur kleine Schneefelder. Elke hat die Gamaschen mitgebracht, welche unter diesen Umständen sehr nützlich sind. Die Hütte ist gut belegt und wir treffen auf zwei Schweizer, welche aus der Gegenrichtung gekommen sind. Die Schilderungen der beiden machen Mut. Der Übergang nach Italien ist mit entsprechender Vorsicht möglich!

Nach dem Umbau der alten Hütte ist die Corno Gries ein echter Hingucker

Schnee, Schnee, Schnee

Am Abend gehen wir noch einmal intensiv die Sicherheitsregeln beim Queren von Altschneefeldern durch. Am Morgen des nächsten Tages geht es los.

Obwohl wir auf 2200m übernachten ist es warm. Ein komisches Bild. Wir laufen in kurzen Hosen und T- Shirt durch scheinbar endlose Schneefelder.

Aufstieg zum Griespass

All die Spannung löst sich, als der Pass mit 2479m erreicht ist. Die Schweiz ist durchquert. Weiter geht es durch Italien und ab sofort auf der GTA, der Grande Traversatta delle Alpi.

Der Griespass ist ein traditionsreicher Übergang von der Schweiz nach Italien

Fazit Quer durch die Schweiz

  • 18/ 3 Wander- /Pausentage
  • 352 Kilometer
  • 9.750 Höhenmeter im Anstieg
  • Highlights: blühende Bergwiesen, Kombination aus Tradition und Moderne, Bern
  • Überraschendes: ein rundum schönes Land für Fernwanderer
  • Negatives: Campingplätze sind oft noch spießiger als in Deutschland
  • Gefährliches: steile Altschneefelder
Direktlink zur Route durch die Schweiz

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